Die Journalistin Elisabeth Bardill-Meyer aus Tenna im Safiental hat mir die Erlaubnis gegeben, ihre Buchbesprechungen hier abzudrucken.

Zwei Besprechungen für Sie:
Emil Zopfi, Untergang des Delphin
Holger Finze-Michaelsen, Die Tochter des Wasenmeisters


Emil Zopfi, Der Untergang des Delphin. Die "Titanic" vom Walensee
AS Verlag
220 Seiten Fr. 29.80 Info/bestellen

Die «Titanic vom Walensee»

Ein historischer Roman von Emil Zopfi führt in die Verkehrs-Geschichte des 19. Jahrhunderts zurück. Der Walensee war und ist Teil der wichtigen West-Ost Verbindung in der Schweiz. Die Handelsroute über den Seeweg war einst beliebt und gefürchtet zugleich. In Windeseile kann sich die ruhige Oberfläche des Walensees im Sturm aufbäumen, denn der Wind hat freie Bahn durch den Gebirgseinschnitt zwischen Weesen und Walenstadt. In der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1850 trug sich das Unglück zu. Das Dampfboot Delphin wurde kurz vor Weesen von heftigen Windstössen ergriffen und verschwand in den tobenden Fluten. Die Liste der dreizehn Opfer liegt im Staatsarchiv St. Gallen.
Der Autor kennt den See und beschäftigt sich intensiv mit dem Geschehen von einst und jetzt. Seine Recherchen über das tragische Schiffsunglück waren umfänglich. Er hat Fakten und Dokumente zusammengetragen und daraus eine spannende Geschichte gewoben. Unter dem bewegenden Titel wird die Zeit um 1850 beschrieben. Dank der Passagier- und Besatzungsliste und Geschichtskenntnis konnte Emil Zopfi das Drama aufarbeiten, sodass dieses nachvollziehbar wird. – Jedem einzelnen Opfer widmet er ein einfühlsames Porträt. Der herumziehende Schirmmacher hofft mit seinem Buben im Unterland auf eine Einbürgerung, Wohnung und feste Arbeit, wie es von Bundesbern verkündet wurde. Der Postkondukteur mit seinem kleinen Hund freut sich nach der Dienstfahrt auf die Heimkehr zu seiner Frau. Zwei gutbetuchte junge Herren aus Italien herkommend wie auch eine einzige ältere Frau entsteigen der Postkutsche in Walenstadt und wechseln aufs Schiff. Wohl liegt eine ungute Ahnung von aufkommendem Sturm in der Luft, doch die Verantwortlichen wollen oder müssen losfahren trotz einigen Zweiflern bei der Besatzung. «Der Delphin darf nicht fahren», sagt Matrose Schlegel beim Stegbrett zum Postkondukteur und Dampfschiffanbinder, die dort stehen. Er hebt seinen Stock und versperrt Ueli, dem jungen Heizer, den Weg aufs Schiff.
Eigenarten über den See, die Landschaft unter dem Mürtschen und den gegenüberliegenden Churfirsten wird beschrieben. Wer dieses Gebiet nicht kennt, möchte es nach der Lektüre kennenlernen. Der Respekt vor plötzlichem Wetterwechsel an gewissen Tagen lässt nicht nach. Doch es gibt auch liebliche Plätze und abwechslungsreiche Wanderwege dem See entlang oder in der Höhe zwischen Felsbändern und bewaldeten Abschnitten dort, wo die Steilhänge direkt im See verschwinden.

Elisabeth Bardill
Tenna, 5. August 2021


Holger Finze-Michaelsen, Die Tochter des Wasenmeisters. Geschichte einer Hinrichtung in Graubünden
Edition Somedia
181 Seiten Fr. 25.00 Info/bestellen


Die Tochter des Wasenmeisters


Die Geschichte einer Hinrichtung in Graubünden geht einem nahe, liegt dieses Ereignis doch gar nicht weit von der Gegenwart zurück. Weit ab vom Schwefelbad Serneus, unten an der Landquart, befand sich die Abdeckerei, die Schinti, wie man im Dialekt sagte. Alle Häuser hatten Namen wie hier eben Wasen. Wasen ist ein Feuchtgebiet, eine sumpfige Wiese. Wasen ist Gras mit Erde, das zum Abdecken vergrabener Tiere verwendet wird. Hier wohnte der Wasenmeister Johannes Reidt mit seiner Familie. Er verging sich bei passenden Gelegenheiten sträflich an seiner ältesten Tochter Katharina. Wie zu erwarten wurde Vater und Tochter auch ein Kindsmord angelastet. Der Vater wurde mit dem Schwert enthauptet, beachtet von einer grossen Menge Schaulustiger auf dem Richtplatz. Man schrieb Chur, den 8. Mai 1845. Katharina musste mit Ketten an den Füssen mit ihren Erinnerungen und Bildern im Kopf weiterleben. Sie war das Opfer und verschwand in der Bedeutungslosigkeit.
Der Fall Reidt, die drohende Todesstrafe wie auch das Begnadigungsgesuch fanden weit über Graubünden hinaus Beachtung. So erklärte die Churer Zeitung, es sei besser, wenn ein Verbrecher reuevoll und bussfertig das Blutgerüst besteige, statt im Kerker trotz aller Bemühungen der Geistlichen zeitlebens der alte sündige Mensch zu bleiben.
Der Autor Holger Finze-Michaelsen widmet sich nach seiner beruflichen Tätigkeit während 35 Jahren als Gemeindepfarrer in St.Antönien, Schiers, Zweisimmen und Jenaz ganz der Aufarbeitung historischer Begebenheiten. Er forscht in Archiven nach Dokumenten wie Protokollen, Gerichtsakten, Ansprachen und Briefen. Er studiert so auch die Lebensumstände der Bevölkerung in der entsprechenden Zeit. In seinen Büchern konfrontiert er die Leserschaft mit Biografien, mit Verhältnissen, die einem fremd und fern sind. Dem Verbrechen, Unglück oder sittlichen Zerfall steht immer eine eigene Lebensgeschichte zu Grunde. Wer sich mit Geschichtsschreibung befasst, gewinnt Einsicht und Verständnis für das Zeitgeschehen von einst und im besten Fall auch für das Gegenwärtige. Der Autor stellt die Frage an die Leserschaft: Wie würde ein Gericht den Fall Reidt heute beurteilen?
Das neue Buch ist sozusagen eine Abhandlung über Geschlechterrollen, Sexualität, Gerichtsbarkeit und Berufe, die es so nicht mehr gibt. Abdecker und Scharfrichter waren oft auch kundig in der Anatomie und Heilkunde für Mensch und Tier. – Bei den kursiv gesetzten Textteilen handelt es sich um wörtliche Zitate aus den überlieferten Quellen. Zudem zeigt sich in diesem Schriftwerk einer der aufsehenerregendsten Fälle der Bündner Justiz im 19. Jahrhundert.

Empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna 21. Juni 2021




Elisabeth Bardill



Elisabeth Bardill-Meyer kam 1941 im aargauischen Auenstein zur Welt und wuchs danach in Küsnacht am Zürichsee auf. Nach der Ausbildung zur Kindergärtnerin an der Neuen Mädchenschule Bern war sie in Bubendorf BL tätig. Nach der Heirat mit einem Bündner Lehrer zog sie nach Tenna ins Safiental und später nach Schiers. Sie hat vier Söhne und fünfzehn Enkel. Während vieler Jahre unterrichtete sie im Bildungszentrum Palottis Schiers in den Fächern Erziehungslehre, Werken und Gestalten. Seit 2004 lebt Elisabeth Bardill mit ihrem Mann wieder in Tenna. Sie arbeitet freischaffend journalistisch für Zeitschriften, Zeitungen wie auch regelmässig für die „Terra Grischuna“, schreibt Bücher und gibt diese selber unter „edition bardill“ heraus. Es handelt sich stets um Porträts von Menschen in Graubünden.



Elisabeth Bardill, Männer und Frauen verwurzelt in Graubünden

Edition Bardill
Fr. 30.00 bitte mit Mail bestellen



Elisabeth Bardill, Bauernstolz und Bauerntum
Edition Bardill, 2008 Fr. 35.00 bitte mit Mail bestellen

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