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Die
Journalistin Elisabeth Bardill-Meyer aus Tenna im Safiental hat mir die
Erlaubnis gegeben, ihre Buchbesprechungen hier abzudrucken. Ganz herzlichen
Dank!
Hier
finden Sie ein Interview mit Elisabeth Bardill
Elisabeth Bardill
Besprechung für Sie:
Nicolas Rhyner, Graffenrieds Gründung
Andreas Neeser, Wie wir gehen
Kristine
Bilkau, Halbinsel
C.F. Ramuz, Derborence
C.F. Ramuz, Dorf im Himmel
Nicolas Rhyner, Graffenrieds Gründung
Zytglogge Verlag Fr. 29.00
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Graffenried mit den Wiedertäufern in Amerika
Im
September 1710, nach achtwöchiger Seereise, betritt der Berner Patrizier
Christoph von Graffenried amerikanischen Boden. Virginia kam in der Ferne
als schmales schwarzes Band in Sicht. Auf dem Schiffsmast der «Berna»
wehte jetzt der Berner Bär. Im Frachtraum seines Schiffes bringt
er Untertanen aus Bern mit, vornehmlich Wiedertäufer und verarmte
Bauern aus dem Simmental, mit denen er wenig später die Stadt New
Bern gründet. Dabei waren auch deutsche Glaubensbrüder und -schwestern
aus der Pfalz. Diese waren im Auftrag der Königin Anne in England
mit dabei. London war von Flüchtlingen überschwemmt. Graffenried
sollte mit diesen Leuten in der englischen Provinz Carolina eine Siedlung
gründen. Dafür erhielt er die Rechte zur Ausbeutung von Silberminen.
– Das Unterfangen gestaltete sich, fern von Englands Machteinflüssen,
alles andere als einfach. Der Kampf um Land und Bodenschätze war
in vollem Gang. Die Auseinandersetzungen mit den Ureinwohnern waren für
die neuen Siedler unvermeidlich und grausam. Graffenried kam ins Spannungsfeld
der geldgierigen Einwanderer einerseits und der tragischen Geschichte
der Ureinwohner. Bei der Erkundung von Silberminen und Siedlungsplätzen
geriet er selber in Gefangenschaft. Abenteuer und Korruption bekam er
hautnah zu spüren. Die Verantwortung für seine Leute macht seine
Persönlichkeit aus. Heute wird er als Gründer von New Bern im
Staat North Carolina wahrgenommen und geehrt.
Der Autor Nicolas Rhyner, geboren 1953, schuf mit dem historischen Roman
ein besonderes Denkmal für seinen Urahn Chrisoph von Graffenried,
dessen Absturz als Schweizer Unternehmer und späteren Gründers
der Stadt New Bern.
Empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna, den
8. Mai 2025
Andreas Neeser,
wie wir gehen
Haymon Verlag Fr. 25.50
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Wie wir gehen – Roman
Der Buchtitel lässt uns im Ungewissen. Doch die Lektüre führt
sofort in die Generationengeschichte einer Schweizer Familie hinein. Mona
steht mitten im Leben. Von Pierre hat sie sich getrennt, ihre Tochter
geht zunehmend eigene Wege. Die Beziehung von Mona zu ihrem Vater Johannes
steht im Zentrum. So lange Zeit ist, möchte Mona mit ihrem Vater
ins Gespräch kommen. Sie möchte die Leere zwischen ihnen aufbrechen.
Den spärlichen Zugang zu diesem spröden, gebrochenen Mann findet
sie durch ein Diktiergerät. Die Erzählung des Vaters dauert
siebenundvierzig Minuten. Für Mona öffnen sich mit diesem digitalen
Schatz Herz und Sinne für den kranken Vater. Dessen Kindheit als
Verdingbub auf dem Bauernhof seines Onkels wie die Armut seiner Eltern
haben die Lebenseinstellung niedrig gehalten. Die Sprachlosigkeit, ja
das Unvermögen über Gedanken und Gefühle zu reden hat das
Familienleben durch drei Generationen hindurch bis in die Gegenwart schwer
gemacht. Mona bemüht sich, selbst aus diesem Seelengefängnis
herauszuwachsen. Sie übt eine neue Offenheit im Umgang mit ihrer
selbstbewussten Tochter.
Der Autor Andreas Neeser, geboren 1964, versteht es, die Nebengeschehnisse
in realistischer Nüchternheit einzubauen. Er schafft damit ein Zeitbild
der Nachkriegsjahre im schweizerischen Mittelland. Er spannt den Bogen
vom Existenzkampf mit Heimarbeit über Krankheit, Resignation bis
hin zur Flüchtlingspolitik und materiellem Wohlstand in der Gegenwart.
Im Fokus des Romans stehen die Beziehungen der Familienglieder untereinander.
Wie kann man sich näherkommen, ohne einander zu erdrücken, wie
unabhängig sein, ohne sich völlig zu distanzieren? Die Geschichte
lässt uns in den Spiegel der eigenen Familienbeziehungen schauen
und zeigt auf: Wie wir gehen… Die Sprache im Buch ist klar und voller
poetischer Kraft.
Empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna, den 15. Mai 2025

Kristine Bilkau, Halbinsel
Luchterhand Verlag Fr. 33.50
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Eine Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer
«Linn lag auf der Veranda, sie schien nichts zu tun, ausser träge
vor sich hinzustarren. Nach Mitternacht, die Windlichter auf dem Tisch
waren erloschen. Ihre Mutter Annett zögerte mit ansprechen, denn
es fiel ihr schwer, ihre Tochter hier allein zu lassen. Es war, als würde
sie vor einem verschlossenen Haus stehen, an Türen und Fenster klopfen,
doch nirgendwo liess sich etwas öffnen.» Annett fühlte
sich hilflos, angesichts der Antriebslosigkeit ihrer Tochter. Die alleinerziehende
Mutter verlor ihren Partner durch eine Herzschwäche, als Linn im
Kindergartenalter war. Das einzige Kind gab ihrem Leben Hoffnung, Sinn
und Zukunft. Nach einer erfolgsversprechenden Ausbildung, scheinbar unbeschadeten
Kindheit und Jugend, erlitt Linn während eines von ihr gehaltenen
Vortrags als Umweltvolontärin einen Kreislaufzusammenbruch und wurde
bewusstlos ins Spital gebracht. Die Mutter holte ihre Tochter zu sich
nach Hause. Die Tage und Wochen zogen sich dahin und es brachen Konflikte
zwischen Mutter und Tochter, zwischen zwei Generationen, auf. Linn nahm
bei der Bäckerei eine Stelle als Aushilfsverkäuferin an. Für
die Mutter war das unverständlich, hatte sie ihrer Tochter doch den
Weg in eine andere Bildungssphäre geebnet. – Das Haus am Meer,
nahe Husum, ist von starken Erinnerungen an die kurzen Familienjahre umrankt,
die sich bei Mutter und Tochter unterscheiden. Der Partner wie Vater wird
vermisst. Das dörfliche Leben am Wattenmeer, wo Wanderungen durch
die Gezeiten bestimmt werden, nimmt Einfluss auf die Lebenswirklichkeiten
der beiden Frauen.
Die Autorin Kristine Bilkau, geboren 1974, zählt zu den wichtigsten
Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur. Mit grossem Gespür für
das Zwischenmenschliche lotet die Autorin die drängenden Fragen unserer
Zeit aus – Fragen nach Verantwortung der Älteren für den
Zustand der Welt sowie der Wunsch der Jüngeren, das eigene Leben
mit Sinn zu erfüllen. Der Roman wurde 2025 mit dem Preis der Leibziger
Buchmesse ausgezeichnet
Empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna, den 30. Mai 2025

C.F. Ramuz, Derborence
Limmat Verlag Fr. 28.00
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Derborence
Ein gewaltiger Bergsturz im Wallis begräbt in einer Nacht Weiden,
Tiere, Hütten und Menschen unter sich. Man hört in den Hütten
unterhalb Derborence die Käsezuber stürzen, die Bänke umfallen,
hört an den Türen unsichtbare Hände rütteln. Es bewegt
sich und grollt, es kracht und pfeift. Das geht in der Luft vor sich,
an der Erdoberfläche, unter dem Boden, als vermischten die Elemente
sich alle. Man unterscheidet nicht mehr, wo der Lärm herkommt und
wo er hingeht. Es ist, als wäre das Ende der Welt da. Dann kommt
die Luft allmählich zur Ruhe, ist wieder wie sonst. Man hört
noch dumpfe Verschiebungen, fernes Rutschen. Wie der Vorbau einer Befestigung
steht da eine Mauer vor ihnen, den Leuten von Zamperon… Dort oben
in Derborence sind doch der alte Séraphin und der jung verheiratete
Antoine. – Zwei Monate später taucht dieser abgemagert und
verwirrt unten im Dorf auf. Man kennt ihn vorerst nicht mehr. Es wird
gemunkelt, dass der Teufel seine Hand im Spiel hätte und die Toten
ohne christliche Bestattung als Gespenster durch die Umgebung irrten.
Im Dorf unten erkennt Antoines Frau Therese, dass sie schwanger ist und
zugleich, dass ihr geliebter Mann verschüttet sei. Ungläubigkeit
und Bestürzung überwältigen sie gleichzeitig. Von allen
Seiten will man sie abschirmen vor der schrecklichen Botschaft, dass der
Berg eingestürzt ist. Doch dann kommt Antoine ins Dorf und ist mit
den Leuten zusammen. Er ist unruhig, lässt sich jedoch in die Gaststube
locken. Therese wartet auf ihn. In der Nacht verlässt er heimlich
die Schlafkammer und steigt wieder hoch ins zerklüftete Bergsturzgebiet,
wo er Séraphin aus den Steinmassen befreien will. Es kann nur die
wirklich grosse Liebe sein, die Therese zu ihrem Mann hinaufführt.
Niemand will sie auf dem gefahrvollen Gang begleiten.
Der berühmte Roman von Charles Ferdinand Ramuz (1878-1947) wurde
neu vom Limmat Verlag aufgelegt, in der Übersetzung aus dem Französischen
von Hanno Helbling. Tatsache ist, dass im Sommer 1749 ein Teil einer Felswand
am Hang des Diablerets sich gelöst und den Talkessel zwischen Derborence
und Godet mit Gesteinsmassen bedeckt hatte.
Empfohlen von Elisabeth Bardill
Tenna, 3. Juni 2025

C.F. Ramuz, Dorf im Himmel
Limmat Verlag Fr. 30.00
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«Dorf im Himmel» - Visionen werden
zur Wahrheit
Neu übersetzt liegt das Buch, «Dorf im Himmel» von Charles
Ferdinand Ramuz, vor. Wenige Wochen nach der Herausgabe im Limmat Verlag
wurde ein Walliser Bergdorf von Schutt- und Eismassen begraben. –
Ramuz: «Dort auf der Nordseite war es, als würde eine Rauchmauer
über die Felsmauer hinauswachsen. Das Grau der Dinge ging über
ins Braun, das Gelb ins Rot, das Grün ins Schwarz. Man wurde immer
unruhiger.»
Roman, Legende oder Sage? Bei Ramuz lässt sich schwer definieren,
in welche Gattung seine Geschichten einzuordnen sind. Hier schildert er
ein Dorf im Paradieszustand. Verstorbene Menschen steigen aus den Gräbern,
kehren in ihr Dorf zurück und leben weiter. Sie sind alle zufrieden,
mögen einander, erinnern sich an das alte Leben und stellen Vergleiche
an. Das Liebespaar findet sich neu. Die Kindsmörderin hat ihr Kind
zurück, der Dachdecker und Schnapsbrenner hat beim Destillieren keine
Mühe mehr, der Maler malt Landschaftsbilder, die den Frieden widerspiegeln.
Das Wetter ist immer schön. Doch langsam wird es ereignislos langweilig.
Die Leute vergessen das alte Leben, die Erinnerungen verflüchtigen
sich, der Vergleich hört auf. Doch dann geschieht etwas in den Bergen
oberhalb des Dorfes. Ängste und alte Gefühle kommen zurück.
Die Ziegenhirtin und der Jäger kommen je allein und verstört
aus den Bergen zurück.
So viel zum Inhalt dieses Buches.
Meine Gedanken gehen zum Roman Derborence von Ramuz zurück, worin
er den Bergsturz von 1714, verbunden mit einem tragischen Einzelschicksal,
schildert. Das Thema muss den westschweizer Schriftsteller umgetrieben
haben. Gewaltige Verschiebungen in den Seelen der Menschen und in den
Gebirgslandschaften hat er meisterhaft beschrieben. Seinem Werk gebührt
in mancher Hinsicht neue Aufmerksamkeit. Ramuz recherchierte in den Bergen
wie bei den Dorfbewohnern und ahnte dabei etwas von kommenden Naturgefahren.
In seinen Romanen hat er Vision und Wirklichkeit miteinander verknüpft.
Er war wohl ein Getriebener von seinen Gedanken, Träumen und tatsächlichen
Wahrnehmungen.
Steven Wyss, hat den Roman «Dorf im Himmel» aus dem Französischen
übersetzt. In seinem ausführlichen Nachwort erfährt man
Einiges über die Arbeitsweise des Schriftstellers Charles Ferdinand
Ramuz (1878- 1947). Das Verschwinden von Blatten am 28. Mai dieses Jahres
ist eine Erschütterung mit ungewöhnlichem Ausmass. Ramuz: «Während
es von da oben immer noch kam, stieg es an, wie wenn sich eine Welle über
eine andere Welle legt und auf diese dann noch eine, stieg es, kam es,
stieg es noch weiter, kommt es; - und sie, während sie daran dachten,
was sie gehabt hatten und wer sie gewesen waren: Das ist das Ende! Aber
so war es nicht, denn es gibt dann doch eine Ordnung.»
Empfohlen von Elisabeth Bardill, Tenna Safiental
Tenna, den 4. Juni 2025
Elisabeth Bardill
Elisabeth Bardill-Meyer kam 1941 im aargauischen Auenstein zur
Welt und wuchs danach in Küsnacht am Zürichsee auf. Nach der
Ausbildung zur Kindergärtnerin an der Neuen Mädchenschule Bern
war sie in Bubendorf BL tätig. Nach der Heirat mit einem Bündner
Lehrer zog sie nach Tenna ins Safiental und später nach Schiers.
Sie hat vier Söhne und fünfzehn Enkel. Während vieler Jahre
unterrichtete sie im Bildungszentrum Palottis Schiers in den Fächern
Erziehungslehre, Werken und Gestalten. Seit 2004 lebt Elisabeth Bardill
mit ihrem Mann wieder in Tenna. Sie arbeitet freischaffend journalistisch
für Zeitschriften, Zeitungen wie auch regelmässig für die
„Terra Grischuna“, schreibt Bücher und gibt diese selber
unter „edition bardill“ heraus. Es handelt sich stets um Porträts
von Menschen in Graubünden.

Elisabeth Bardill, Männer und Frauen verwurzelt
in Graubünden
Edition Bardill
Fr. 30.00
bitte
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Elisabeth Bardill, Bauernstolz und Bauerntum
Edition Bardill, 2008 Fr. 35.00 bitte mit Mail bestellen
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